Wenn Nina Boubela ihre orangefarbenen Gartenhandschuhe anzieht und in der Rosasgasse in Meidling beginnt, in der Erde zu graben, dann ist das für viele Passanten ein Grund, stehen zu bleiben. Auch diesmal haben zwei Senioren sie schon auf ihre Arbeit angesprochen. "Gutes Gelingen!", sagt einer, als er vorbeigeht. Der andere erzählt von den Sonnenblumen, die hier im Vorjahr gewachsen sind und an die er sich gerne erinnert.

Baumscheibe Beet Gespräch Nachbarn
Nina Boubela freut sich über den Austausch mit Nachbarinnen und Nachbarn, wenn sie in ihrer Baumscheibe im zwölften Bezirk gartelt.
© Christian Fischer

Boubela freut sich. Genau deshalb hat sie vor ein paar Jahren begonnen, gleich mehrere Baumscheiben – also die kleinen Grünflächen rund um Straßenbäume – zu bepflanzen. "Da bekomme ich das Gefühl, ich wohne wieder im Dorf", sagt sie über die Gespräche, die mit den Nachbarinnen entstehen. Ihre zusätzliche Motivation ist die Artenvielfalt in der Stadt, die sie fördern will. Wenn die Hummeln summen, sei das einfach ein schönes Gefühl.

Doch nicht nur Hummeln und Sonnenblumen gibt es in ihrer Baumscheibe. Obwohl Boubela ein Schild aufgestellt hat, landet immer wieder auch Müll wie Zigarettenstummel, Red-Bull-Dosen oder zuletzt Styropor von einer nahen Baustelle in ihrem Beet. Ähnliches berichten auch andere Baumscheibengärtner, die sich in einer Facebook-Gruppe austauschen. Das größte Problem der meisten sind Hundekot und -urin, die den Pflanzen zusetzen. Andere berichten von abgeschnittenen oder gar ausgegrabenen Pflanzen. Bei manchen geht der Frust so weit, dass sie mit dem Garteln wieder aufhören wollen. Etwa ein Baumscheibengärtner in Ottakring, der immer wieder mit Hundehaltern zu kämpfen hat, die ihre Tiere sogar über den Zaun in die Baumscheibe heben und den Kot liegen lassen.

Baumscheibe, Parkplatz, Begrünung, Versiegelung, Gärtnerin Nina Lisa, Garteln ums Eck
Die Wienerinnen und Wiener, die eine Patenschaft für eine Baumscheibe übernommen haben, wollen die Artenvielfalt in der Stadt fördern und ihren grünen Daumen ausleben.
© Christian Fischer

Doch warum tun Menschen so etwas oder werfen ihren Abfall absichtlich in grüne Beete? Einige würden sich vom Staat oder der Gesellschaft vernachlässigt fühlen und so ihren Unmut zum Ausdruck bringen, hat die Umweltpsychologin Sabine Pahl vor einiger Zeit im STANDARD-Podcast "Edition Zukunft" erklärt. Die Stadt sei an sich ein Ort der Entfremdung, und gute Kommunikation sei wichtig, sagt auch die Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak und empfiehlt, auf Schildern genau zu erklären, wozu eine Baumscheibe gut sei.

Zu wenig Flächen

"Vieles passiert nicht böswillig, und der öffentliche Raum ist nun einmal heiß umkämpft, weil es nicht überall genug Flächen gibt, etwa für die Hunde, um ihr Geschäft zu verrichten", sagt Gärtnerin Boubela. Sie habe sich mit Müll und Hundekot in ihren Baumscheiben abgefunden und räumt ihn einfach weg.

Baumscheibe Müll
In der Nähe einer ihrer Baumscheibe gibt es eine Baustelle, erzählt Nina Boubela. Regelmäßig trägt der Wind von dort kleine Styropor-Kugeln in ihr Beet. Diese lassen sich kaum oder nur in mühevoll entfernen.
Nina Boubela

Organisiert wird das Garteln in den Baumscheiben von der Gebietsbetreuung. Auch dort ist das Müllproblem bekannt – ein großes oder größer werdendes Problem sei es aber nicht, eher Einzelschicksale, sagt Grünraumspezialist Markus Mondre. Hin und wieder habe auch schon eine Gärtnerin oder ein Gärtner die Baumscheibe zurückgegeben. Vorher könne die Gebietsbetreuung aber veranlassen, dass etwa die Waste-Watcher, die die Sauberkeit im öffentlichen Raum kontrollieren, häufiger in eine bestimmte Straße oder zu einer Baumscheibe geschickt werden.

Trotz einzelner Probleme sei das Projekt Garteln ums Eck seit fast 13 Jahren mit insgesamt 2000 Baumscheiben in der Stadt ein großer Erfolg, sagt Mondre. Vor allem auf die nachbarschaftlichen Aspekte sei man stolz: "Das Ins-Gespräch-Kommen ist mindestens so wichtig wie das Garteln."

Baumscheibe, Parkplatz, Begrünung, Versiegelung, Gärtnerin Nina Lisa, Garteln ums Eck
Baumscheibengärtnerinnen können sich in der Gebietsbetreuung Schilder abholen, um Passanten über ihre Tätigkeit zu informieren.
© Christian Fischer

Das sind auch die Effekte, die für die Hobbygärtnerinnen überwiegen – und so haben sich die meisten mit den Saboteuren abgefunden. "Die hunderten Menschen, die die Pflanzen schätzen, sind mir wichtiger als die wenigen, die das Garteln erschweren", sagt eine Baumscheibengärtnerin. Und eine andere erzählt: "Ich sag mir immer: ‚Lass sie, ich kann die Leute nicht ändern. Aber ich kann die Baumscheibe weiterhin pflegen und so meinen Widerstand in Form von Blumen gegen Ignoranz und Bösartigkeit aufblühen lassen."

Nicht selten passiere es auch, dass ein Dankeschön aus einem Fenster oder von vorbeifahrenden Radlern gerufen wird oder dass Nachbarn den Gartelnden fünf oder zehn Euro für neue Pflanzen zustecken.

Baumscheibe, Parkplatz, Begrünung, Versiegelung, Gärtnerin Nina Lisa, Garteln ums Eck
Landet Hundekot in ihrer Baumscheibe, räumt Nina Boubela ihn einfach weg, und versucht, sich nicht darüber zu ärgern.
© Christian Fischer

Auch der Baumscheibengärtner aus Ottakring sagt, er würde niemals aufgeben, dafür sei die Freude der Bewohnerinnen des naheliegenden Altersheims an seinen Pflanzen zu groß: "Wenn wir den Vandalen die Oberhand lassen, gibt es nur mehr Müll und Hundescheiße zu betrachten."

Nicht zu "vasentauglich"

Also haben viele der freiwilligen Gärtner gelernt, mit den Ärgernissen zu leben, und geben sich gegenseitig Tipps: Ein Anfängerfehler sei etwa, dass zu viel Geld investiert wird. Wer neue, teure Pflanzen oder Blumenzwiebel kauft, ist am Ende enttäuscht, wenn etwas wegkommt. Manche führen ihre Baumscheibe als "Selbstläufer": Nach einer ersten Bepflanzung wird nur mehr Zeit und kein Geld mehr investiert. So wachsen dort etwa heimische Pflanzen, die sich selbst vermehren und so jedes Jahr aufs Neue blühen. Eine Hobbygärtnerin sagt aus Erfahrung, dass Blumen nicht zu "vasentauglich" sein dürfen: "Je wilder, desto uninteressanter."

Manchen Müll trägt der Wind in die Beete, etwa Plasticksackerln. Anderer Mist wird aber auch bewusst hinein geworfen, beispielsweise Dosen oder Tschickstummel. Fast alle Baumscheibengärtnerinnen berichten davon, dass schon Blumen ausgerissen, abgeschnitten oder ausgegraben wurden.
DER STANDARD/Redl

Und dann gelingt es trotz der Widrigkeiten, dass man in einer Welt, "in der viel vorgegeben und geregelt ist, für einen Teilbereich in der Nachbarschaft Verantwortung übernehmen kann", wie Stadtpsychologin Ehmayer-Rosinak es nennt.

Und das ist es schließlich, was die Baumscheibengärtnerinnen und -gärtner vor allem antreibt: einen kleinen Teil im öffentlichen Raum, in ihrer Stadt, mitgestalten zu können – und zum Blühen zu bringen. (Bernadette Redl, 23.4.2024)