Mehl, Erdäpfel, Butter: Es sind die ganz einfachen Güter des täglichen Bedarfs, bei denen die Preise in den vergangenen Jahren besonders hochgeschossen sind. Ein Kilo Erdäpfel kostete etwa im Dezember 2023 ganze 46 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, ein Liter Sonnenblumenöl 99 Prozent, ein Kilo Mehl 88 Prozent. Zwar ist der Preisauftrieb mittlerweile leicht eingebremst. Dennoch – billiger wird der Einkauf im Supermarkt wohl auch in Zukunft nicht mehr, schätzen Experten. "Geopolitische Verwerfungen wie der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Klimakrise werden weiterhin für hohe Preise sorgen", sagt Franz Sinabell, Ökonom und Landwirtschaftsexperte vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in Wien. Besonders leiden würden darunter Geringverdiener und Beschäftigte mit niedrigen Lohnabschlüssen.

Einkaufswagen
Der Supermarkteinkauf hat sich extrem verteuert – aus weitgehend unbekannten Gründen.
APA/GEORG HOCHMUTH

Aber wie kommt es zu den hohen Preisen? Schlagen die teureren Rohstoffe und die hohen Energiekosten bei den Produzenten durch? Oder verdient hier jemand kräftig dazu – seien es Landwirte, Verarbeiter wie Mühlen oder Molkereien oder Österreichs hochkonzentrierter Supermarktsektor?

"Begrenzt geeignete Datenquellen"

Interessanterweise weiß man es kaum. "Es gibt in Österreich nur eine begrenzte Anzahl an geeigneten Datenquellen, um die Preise auf verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette zu verfolgen", heißt es in einer neuen Wifo-Studie eines Teams rund um Sinabell und seine Kollegin Anna Renhart, die dem STANDARD exklusiv vorliegt. Die Faktoren, die für Preissteigerungen verantwortlich sind, "liegen teilweise im Dunkeln".

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) forderte angesichts dessen im vergangenen Herbst mehr Maßnahmen für Preistransparenz. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der die Wifo-Studie gemeinsam mit der Arbeiterkammer (AK) in Auftrag gegeben hat, kampagnisiert schon lange für eine sogenannte Preisdatenbank, mit deren Hilfe die Preisbildung bei Grundnahrungsmitteln nachvollziehbarer werden soll. Die Wifo-Forscher haben herausgearbeitet, was man über das komplexe Thema weiß – und was nicht.

Warum das Mehl 1,58 Euro kostet

Anschaulich zeigt sich das an einem Kilo Mehl. Dieses kostete laut Wifo Anfang 2024 im Handel durchschnittlich 1,58 Euro. Aber wie kommt der Preis zustande? Laut Wifo gingen davon ungefähr 28 Cent, also knapp 18 Prozent des Gesamtpreises, an den Bauern, der das Getreide anbaut. Und der große Rest? Rund 46 Cent (oder knapp 30 Prozent) von den Kosten für das Kilo Mehl flossen an die Mühle. Weitere 70 Cent (oder mehr als 44 Prozent) gingen an den Supermarkt, der das Mehl verkauft, 14 Cent fließen an den Finanzminister in Form der Umsatzsteuer. Ergibt alles zusammen die 1,58 Euro, die ein Kilo Mehl für den Endkunden kostet.

Es ist eine interessante Aufstellung, bei der allerdings ein entscheidendes Detail fehlt: Vom Landwirt über die Mühle bis zum Supermarkt, all diese Akteure müssen aus ihren Einnahmen ja auch Kosten bestreiten: ob für Personal, Energie, Düngemittel oder Saatgut. Aber wie viel müssen sie nun dafür aufwenden? Und wie viel bleibt ihnen als Profit?

Illustration: DER STANDARD

Man weiß es derzeit in Österreich nur bei den Landwirten: Von den 28 Cent, die sie im Schnitt pro Kilo Mehl kassieren, haben sie ihrerseits rund 17 Cent an Ausgaben für allerlei Betriebsmittel. Die restlichen elf Cent bleiben dem Bauern als Gewinn für seinen eigenen Unterhalt und für den Betrieb seiner Anlagen.

"Größere Bedeutung im Konsum"

Die Daten, auf die sich das Wifo bei dieser Berechnung stützt, stammen von der Statistik Austria und der Agrarmarkt Austria (AMA). An diese Institutionen werden bereits heute Informationen gemeldet, aus denen sich teilweise Rückschlüsse auf die Preisbildung ziehen lassen. Aber: eben nur teilweise. Die Kosten und Profite bei Verarbeitern wie der Mühle und bei Supermärkten finden sich in offiziellen Quellen nicht.

Die Wifo-Studie regt deshalb an, das System zu komplettieren. Informationen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette sollen ersichtlich werden. Vor allem sollen Lebensmittelverarbeiter und -händler ihre Einkaufspreise in die besagte Preisdatenbank einmelden. Laut Wifo-Studie sollen dabei "jene Produkte erfasst werden, die im Konsum größere Bedeutung haben". Somit "wäre die Datenbasis für ein umfassendes Preismonitoring verfügbar".

Camembert und Räucherlachs

Ein Vorbild dabei ist Frankreich, dessen Inflationsrate selbst an ihrem Höhepunkt nur ungefähr halb so hoch lag wie jene in Österreich. In Frankreich existiert seit dem Jahr 2010 "das wahrscheinlich ausgeprägteste Preismonitoringtool in Europa", so die Studie. Eine dafür zuständige Behörde – die Beobachtungsstelle für die Bildung von Preisen und Margen von Nahrungsmitteln (französisch abgekürzt OFPM) – fasst "Daten zu Erzeugerpreisen, Großhandelspreisen und Bruttomargen" zusammen. Dem System unterworfen sind ausgewählte Produkte, die die Menschen in Frankreich gerne konsumieren: etwa Camembert, Räucherlachs und Baguette. Einmal im Jahr übermittelt OFPM dann an das Parlament einen Bericht, in dem die Preisentwicklungen analysiert werden.

Auch in Österreich brauche es "ein halbwegs lückenloses Bild, wie die Preise in der Lieferkette zustande kommen", sagt die ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth. Wenn etwa in einem Bereich Preise in der Lieferkette stark ausschlagen, könne man auch über eine Art Alarmsystem nachdenken, um rasch zu erkennen, wo es ein Problem gibt. "Das wäre ein wenig vergleichbar mit dem Finanzsystem, wo bei den Aufsichtsbehörden ebenfalls ein Licht anspringt, wenn sich bestimmte Kennzahlen bei Banken allzu rasch in eine ungünstige Richtung verändern", sagt Schuberth.

Im politischen Nirwana

Bleibt noch die Frage nach der politischen Realisierbarkeit. Im Herbst 2023 kündigte Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) unter Druck wegen der extrem hohen Lebensmittelpreise Schritte gegen die hohe Inflation in diesem Bereich an. Konkret im Gespräch war allerdings keine Preisdatenbank, sondern eine Art staatliche Preisvergleichs-App und bessere rechtliche Bedingungen für private Onlineportale, die Preise vergleichen. Von der App rückte die türkis-grüne Regierung jedoch bald wieder ab. Und die besseren rechtlichen Bedingungen? Sie verschwanden im politischen Nirwana: Wie DER STANDARD im Februar berichtete, gibt das Wirtschaftsministerium an, einen diesbezüglichen Plan an die Grünen übermittelt zu haben. Die jedoch behaupten, dass er niemals bei ihnen angekommen sei. Was mit dem Projekt tatsächlich geschehen ist, lässt sich derzeit nicht herausfinden. Klar ist indes, dass das Thema erneut aufs Tapet kommt, wenn Mehl, Erdäpfel und Butter wieder einmal besonders teuer sind. (Joseph Gepp, 23.4.2024)