Infrarotkamera-Aufnahme eines Mannes mit freiem Oberkörper, dessen Körperoberfläche rot-weiß erscheint und damit warm. Er trinkt aus einem kalten und daher dunkelblau sichtbaren Glas.
Hitze wurde 2023 für viele Menschen zur Belastungsprobe. Extreme Temperaturen kommen künftig häufiger vor und halten sich länger.
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Zu Beginn des Monats gab es den frühesten Hitzetag der österreichischen Messgeschichte. Schon am 7. April erreichte die Temperaturanzeige im steirischen Bruck an der Mur 30 Grad Celsius. Zehn Tage vor dem bisherigen Rekord, der am 17. April 1934 in Salzburg aufgestellt wurde. Die Verlagerung bisheriger Grenzen ist ein Symptom der Erhitzung des Klimas – trotz der aktuellen Lage, die für den April typischer ist.

Würde es sich bei einem ungewöhnlich heißen Tag um einen ungewöhnlichen Ausreißer handeln, wäre das kein Grund zur Sorge. Doch über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist ein eindeutiger Trend zu höheren Temperaturen über längere Zeiträume zu erkennen – und zu mehr Extremereignissen. Das zeigt auch der neue Bericht des EU-Klimawandelservice Copernicus über das Klima in Europa 2023. Er entstand erstmals in Kooperation mit der Weltwetterorganisation (WMO), die bisher unabhängig davon Klimaberichte zu Weltregionen veröffentlichte, und wurde am Montag veröffentlicht.

Eine Europakarte zeigt in verschiedenen Rottönen, in welchen Regionen 2023 das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn war. Teile von Österreich, Deutschland, Frankreich und Großbritannien und nahezu der ganze Südosten Europas sind dunkelrot eingefärbt, dort war es also 2023 im Durchschnitt seit Messungsbeginn am heißesten.

Das vergangene Jahr sei "weltweit äußerst ungewöhnlich" gewesen, betonte Copernicus-Direktor Carlo Buontempo bei einem Pressegespräch, "vor allem wenn man es mit dem Klima der letzten Jahrzehnte, Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende vergleicht". Es war das weltweit wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn und wohl sogar wärmer als in den vergangenen 100.000 Jahren. Für Europa handelte es sich laut Report um das wärmste oder zweitwärmste Jahr – je nachdem ob man die Daten von Copernicus oder der Weltwetterorganisation betrachtet. Die Unterschiede kommen aufgrund der nicht einheitlichen Grenzen Europas zustande: Die WMO rechnet auch Grönland und Teile des Nahen Ostens zu Europa.

Warum sich Europa schneller aufheizt

Europa ist besonders von der Klimakrise betroffen: Der Kontinent erwärmt sich schneller als alle anderen, etwa doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Die zehn wärmsten Jahre seit Aufzeichnungsbeginn fallen allesamt in die Zeit seit 2007. Für Europas besonders starke Erwärmung nennt Samantha Burgess, Vizedirektorin des Klimawandelservice Copernicus, drei Gründe:

Grafik einer Europakarte, die in fast allen Regionen überdurchschnittliche Temperaturen 2023 im Vergleich zu Referenzperiode 1991 bis 2020 zeigt.
In weiten Teilen Europas war es 2023 durchschnittlich um 1 bis 2 Grad wärmer als im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020.
C3S/ECMWF

Weltweit ist es seit der vorindustriellen Zeit im Schnitt um 1,3 Grad wärmer geworden, 2023 war es um fast 1,5 Grad wärmer. Die vergangenen zwölf Monate (also von April 2023 bis März 2024) legten noch eins drauf, hier betrug der Durchschnitt 1,58 Grad mehr. In Europa liegen die Werte höher: Hier ist es seit dem vorindustriellen Mittel an Land um 2,3 Grad wärmer geworden. Im Vorjahr war es um 2,5 Grad wärmer. Für die hohen Temperaturen sind vor allem die hohen Treibhausgaskonzentrationen verantwortlich, die im Vorjahr ein neues Maximum erreicht haben. Zusätzlich hatte aber auch das Klimaphänomen El Niño einen aufheizenden Effekt.

"Einige der Ereignisse der vergangenen zwei Jahre haben die wissenschaftliche Gemeinschaft überrascht", sagte Buontempo – vor allem weil diese Wetter- und Klimaereignisse besonders schnell auftraten, intensiv ausfielen und lange anhielten. Dabei zeichnet sich ein facettenreiches Bild ab. Copernicus-Forscherin Rebecca Emerton bezeichnete etwa den Sommer 2023 als einen "Sommer voller Kontraste". Während es nicht der heißeste Sommer Europas war, waren die Bedingungen teilweise extrem. Es war aber nicht nur ein sehr heißes, sondern auch ein sehr nasses Jahr, das es unter die vier niederschlagsstärksten Jahre seit Messbeginn schaffte.

Gesundheitliche Belastung

Die Hitzewellen erreichten ihren Höhepunkt im Juli. Bisher wurde auf dem Kontinent noch nie so starker Hitzestress – der sich aus der Kombination der Faktoren Hitze, Strahlung, Feuchtigkeit und Wind ergibt – registriert: In Südeuropa waren 41 Prozent der Fläche betroffen. Auf Sizilien wurden 48,2 Grad Celsius gemessen, was nah am bisherigen Rekord von 48,8 Grad aus dem Jahr 2021 liegt. In elf von zwölf Monaten lagen die Temperaturen über dem Durchschnitt, der September 2023 war der wärmste in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen.

Die vielen Hitzetage sind eine große gesundheitliche Belastung, die auch zu erhöhten Sterberaten führt. Hierauf lag der diesjährige Fokus des Berichts. In fast allen europäischen Regionen hat die Zahl der Hitzetoten zugenommen, Städte sind wegen des Wärmeinseleffekts besonders stark betroffen. Die Sterberate aufgrund von Hitze ist in den vergangenen 20 Jahren um 30 Prozent gestiegen. Von den 30 heißesten und längsten Hitzewellen Europas seit 1950 traten 23 seit dem Jahr 2000 auf. Darauf sollen sich Alarm- und Gesundheitssysteme besser einstellen, da die Hitzerisiken meist unterschätzt würden, zeigt der Report. Zu den klimawandelbedingten Risiken zählen erhöhte Verletzungs- und Sterbegefahren durch Extremwetterereignisse, neue Krankheiten, die etwa durch wärmeliebende Insekten übertragen werden, sowie Herz-Kreislauf-Probleme, Kopfschmerzen und andere Symptome von Hitzestress.

In weiten Teilen Südeuropas war es zudem äußerst trocken, was Waldbrände begünstigte. Die durch Feuer verbrannte Fläche war in Europa so groß wie die Fläche der Städte Berlin, Paris und London zusammen.

Hitzewelle im Meer – ohne Vulkane

Erschreckend waren auch die Hitzewellen im Meer: Im Juni gingen die Temperaturen im Nordosten des Atlantiks "weit über alles hinaus, was wir in der Geschichte gesehen haben", sagt Emerton. Vor den Britischen Inseln seien teils "äußerst extreme" Temperaturen gemessen worden, die den Durchschnitt um bis zu fünf Grad überstiegen. Das ganze Jahr über war die Oberflächentemperatur der Ozeane in Europa so hoch wie nie seit Aufzeichnungsbeginn.

In den vergangenen 100 Tagen lag die Durchschnittstemperatur der oberen Meeresschicht global bei äußerst warmen 21 Grad Celsius oder darüber. Die genauen Ursachen konnten noch nicht bestimmt werden, eine entsprechende Studie steht aus. Die Treibhausgasemissionen machen einen großen Teil aus, erklären den extremen Anstieg aber nicht vollständig.

Sicher ist, dass dahinter keine Ausbrüche von Unterwasservulkanen stecken, wie manche Klimawandelskeptiker argumentieren. "Der Teil der Ozeane, der sich am schnellsten erwärmt, ist die Meeresoberfläche", sagt Burgess. Dahinter liegen die nächsthöheren Schichten, am langsamsten erwärmt sich die unterste bis zu einer Tiefe von zwei Kilometern. Darunter finden keine Messungen statt. Vulkane am Meeresboden befinden sich meist in vier Kilometern Tiefe. "Wir können also feststellen, dass die Wärme von der Atmosphäre kommt und nicht aus der Tiefsee", fasst Burgess zusammen.

Die hohen Temperaturen gingen mit einem starken Rückgang der Gletscher einher. In Österreich dürften die Gletscher Mitte des 21. Jahrhunderts vollständig verschwunden sein, wie bereits der Bericht des Österreichischen Alpenvereins kürzlich wieder zeigte (DER STANDARD berichtete). Allein in den vergangenen zwei Jahren haben die Gletscher in den Alpen etwa zehn Prozent ihres verbleibenden Volumens verloren.

Grafik Gletscher-Masseveränderungen auf Europakarte
Die europäischen Gletscher sind 2023 zurückgegangen, am stärksten in den Alpen.
WGMS/C3S/ECMWF

Tödliche Ereignisse

Auch die starken Regenfälle waren in Österreich spürbar, vor allem im Mai und im August kam es in etlichen Bundesländern nach Unwettern zu Überschwemmungen. In Slowenien kam es durch die Fluten zur teuersten Katastrophe in der Geschichte des Landes. Darauf folgte Sturm Daniel, der etwa Teile Griechenlands und Bulgariens verwüstete. Die Donau und andere europäische Flüsse erreichten vor allem im November und Dezember überdurchschnittliche Pegelstände.

Insgesamt fiel im Vorjahr um sieben Prozent mehr Niederschlag als durchschnittlich. Das ist insofern interessant, als Luft auch um sieben Prozent mehr Wasser tragen kann, wenn sie um ein Grad wärmer ist. Wie viel es in einem Jahr regnet, ist freilich weitaus komplexer und von vielen Faktoren abhängig.

Wie erst vor kurzem eine Studie zeigte, dürften die klimabedingten Wirtschaftseinbußen höher als gedacht sein und die Kosten für Klimaschutz mittelfristig um das Sechsfache übertreffen (DER STANDARD berichtete). Global wird demnach mit jährlichen Schäden im Wert von 36 Billionen Euro im Jahr 2050 gerechnet.

Grafik einer Weltkarte. Weite Teile sind hell- bis dunkelrot eingefärbt, was auf einen mittleren bis starken Einkommensverlust um bis zu -30 Prozent hinweist. Vor allem Russland, Finnland, Nordskandinavien und Kanada dürften klimawandelbedingt eher mit einem Einkommenszuwachs rechnen.
Im Vergleich zur Wirtschaft ohne Klimawandel im Jahr 2049 werden Erwärmung und Extremereignisse in weiten Teilen der Erde für Einkommenseinbußen sorgen. Für Russland und Kanada sieht die Prognose einen Einkommenszuwachs.
Kotz et al., Nature 2024

Für das Vorjahr geht der Klimabericht von wetter- und klimabedingten wirtschaftlichen Verlusten von mindestens 13,4 Milliarden Euro in Europa aus. Davon wurden 81 Prozent durch Überschwemmungen verursacht, bei denen 44 Menschen ums Leben kamen. 63 Personen starben an den Folgen von Stürmen, 44 durch Waldbrände. Buontempo ist ebenfalls überzeugt, dass die Kosten der Klimakrise in den kommenden Jahren steigen werden.

Ausblick auf 2024

Ein positiver Aspekt zeigt sich beim Blick auf die Energiemenge, die aus erneuerbaren Quellen stammt. Auch sie erreichte einen neuen Höchstwert: 43 Prozent des Stroms in Europa wurden 2023 durch erneuerbare Energien erzeugt. Aufgrund der Stürme und der großen Wassermengen in Flüssen war das Potenzial für die Produktion von Wind- und Wasserenergie besonders hoch. Was Photovoltaik angeht, lag das Potenzial in Zentraleuropa eher unter dem Durchschnitt, in Südeuropa und Skandinavien waren die Werte aber überdurchschnittlich hoch.

Prognosen für 2024 lassen sich nur schwer erstellen. Doch weil die ersten Monate wieder einmal extrem ausfielen und neue Temperaturrekorde aufstellten, ist es laut Samantha Burgess wahrscheinlich, dass die Sommermonate in Europa und in weiten Teilen der Erde überdurchschnittlich warm sein werden. Allerdings dürfte das aktuelle El-Niño-Event bereits abklingen: Wie Burgess erläutert, fiel es auch nicht so lang und stark aus wie der extreme "Super-El-Niño" der Jahre 2015 und 2016, der sich erst im zweiten Jahr in voller Stärke entfaltete. Damit geht auch der aufheizende Effekt zurück, und es beginnt eine neutrale Phase, die wiederum wohl in die kühlende Gegenspielerin La Niña übergeht. Wann das der Fall ist, wird sich aber erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.

Extremereignisse werden in Zukunft in ihrer Häufigkeit und Intensität weiter zunehmen, solange es weiterhin so hohe Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre gibt. Dass wir global 2023 der 1,5-Grad-Schwelle so nah gekommen sind, sollte laut Burgess "ein Alarm für Entscheidungstragende auf der ganzen Welt sein, dass wir ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen brauchen". Fachleute sind sich einig, dass es dafür gemeinsame, solidarische Anstrengungen braucht. Immerhin macht die Klimakrise nicht vor Ländergrenzen halt. (Julia Sica, 22.4.2024)