Gen Z wächst auf dem Mars auf, zumindest wenn man Jonathan Haidt, Sozialpsychologe an der New York University, glaubt. In seinem im März erschienenen Buch The Anxious Generation, die ängstliche Generation, warnt er eindringlich vor dem negativen Einfluss, den Smartphones und soziale Medien auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen haben. Der Untertitel seines Buches lautet: "How the Great Rewiring of Childhood is Causing an Epidemic of Mental Illness" – "Wie die große Neuvernetzung der Kindheit eine Epidemie von Geisteskrankheiten verursacht".

Dass Kinder und Jugendliche ein Abhängigkeitsproblem von ihren elektronischen Geräten haben, ist unschwer zu beobachten. Bei einer Geburtstagsparty hält jeder Jugendliche sein Smartphone in der Hand umklammert, checkt in regelmäßigen Abständen das Display, tippt emsig Nachrichten und Postings, oder ist tief in Computerspielen versunken. Eine Mädchengruppe sitzt auf dem Sportgelände einer Schule, Köpfe über Smartphones gebeugt. Sie lachen und zeigen einander Posts und Fotos, ohne sich jemals direkt anzusehen oder ihre Umgebung wahrzunehmen. In einer Diskussionsrunde für Eltern zehnjähriger Kinder in einer New Yorker Schule wird hauptsächlich über den Umgang mit Technologie und das Abhängigkeitsverhalten der Kinder diskutiert. Fast jedes Kind dieser Runde besitzt ein Smartphone und hat Zugang zu Snapchat und sozialen Medien wie Instagram und Tiktok. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die Corona-Pandemie hat diese Trends verschärft, abgezeichnet haben sie sich schon viel früher.

Kind sitz mit Handy auf Stiege
Fast jedes Kind besitzt ein Smartphone und hat Zugang zu Snapchat und sozialen Medien wie Instagram und Tiktok.
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Eine Studie der Non-Profit-Organisation Common Sense Media, "Media Use by Tweens and Teens, 2021", liefert die zu diesem Bild passenden Zahlen und zeigt die Verhaltenstrends amerikanischer Jugendlicher über den Zeitraum 2019 bis 2021 auf. Wenig überraschend ist die Erkenntnis, dass in diesem Zeitraum die Mediennutzung für Tweens (Acht- bis Zwölfjährige) und Teens (13 bis 18) schneller wuchs als in den vier Jahren vor der Pandemie. Die Zahlen sind trotzdem erschreckend hoch, inklusive der Ausgangszahlen. Zwischen 2019 und 2021 stieg die Gesamtstundenzahl von täglich genutzten Bildschirmmedien bei Tweens von 4:44 auf 5:33 Stunden und bei Teenagern von 7:22 auf 8:39 Stunden. Das ist ein Anstieg von 17 Prozent, wobei diese Zahlen weder die Bildschirmzeit beim Lernen in der Schule noch für Hausaufgaben enthalten.

Die Rückkehr zum Präsenzunterricht und zu regelmäßigen außerschulischen Aktivitäten scheint diesen Trend bisher nicht umgekehrt zu haben. Onlinevideos, vor allem auf Youtube, haben sich laut Common Sense Media als die Aktivität der Wahl für Tweens und Teenager herauskristallisiert. Auch steigt die Zahl von Tweens, die soziale Medien nutzen, bevor sie technisch alt genug dafür sind: von 31 Prozent im Jahr 2019 auf 38 Prozent im Jahr 2021, ein besonders besorgniserregender Trend, da diese Plattformen eigentlich nicht für diese Altersgruppe designt sind. 13 Jahre ist hier das offizielle Alter. Mädchen sind vor allem in den sozialen Medien anzutreffen, Burschen tummeln sich auf Spiel- und Porno-Webseiten.

Ansteigende Depressionen und Suizide

Die Psychologin Jean Twenge, Autorin der Bücher iGen und Generations, beobachtet negative psychische Trends Jugendlicher bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Im Jahr 2012 begannen Teenager zu sagen, dass sie sich einsam und ausgeschlossen fühlten. "Immer mehr sagten, dass sie das Gefühl hatten, nichts richtig machen zu können, oder dass sie das Leben nicht genossen," sagt Twenge in einem Podcast der New York Times. Die Zahl der klinisch behandlungsbedürftigen Depressionen von Jugendlichen nahm zu. Auch Einweisungen in die Notaufnahme wegen Selbstverletzung begannen zu steigen. "So hat sich beispielsweise zwischen 2011 und 2019, also lange vor der Pandemie, die klinische Depression bei Teenagern verdoppelt. Die Zahl der Einweisungen in die Notaufnahme wegen Selbstverletzung verdreifachte sich bei zehn- bis 14-jährigen Mädchen", so die Forscherin. Sie ist sich sicher, dass es sich nicht nur um einen Anstieg der Berichterstattung oder eine Abnahme der Stigmatisierung handelt, da Statistiken wie Spitalseinweisungen objektiv messbar sind. Die Zahlen seien daher auch nicht mit einer höheren Bereitschaft, diese Fragen in qualitativen Umfragen zu beantworten, zu erklären. "Dasselbe gilt für Selbstmordversuche und vollendete Suizide. Zuerst dachte ich, dass es sich um einen Ausrutscher handeln könnte," meinte Twenge. Aber der Trend setzte sich fort.

Häufigkeit von Angstzuständen, USA
Häufigkeit von Angstzuständen, USA: Jüngere sind eher betroffen als Ältere, Gen Z stärker als vorangehende Generationen.
AnxiousGeneration.com

Mädchen scheinen vom negativen Trend stärker betroffen zu sein als Buben. Laut CDC (Centers for Disease Control and Prevention) gaben 2021 fast 60 Prozent der Highschool-Schülerinnen an, im vergangenen Jahr anhaltende Gefühle der Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit erlebt zu haben. Fast 25 Prozent hatten einen Selbstmordplan erstellt. "Der größte Unterschied besteht zwischen Buben und Mädchen. Er variiert ein wenig von einer Statistik zur anderen," erklärt Twenge. Bei Depressionen verdoppelten sich die Zahlen sowohl bei Mädchen als auch bei Buben. "Aber weil die Depressionsraten bei Mädchen im Teenageralter immer höher sind und waren, ist die Anzahl der Menschen, die davon betroffen sind, unter Mädchen größer." Mädchen seien außerdem von selbstverletzendem Verhalten stärker betroffen. Auch die Selbstmordrate hat sich für beide Gruppen verändert, sie ist allerdings bei Mädchen stärker gestiegen als bei Jungen.

Besuche in der Notaufnahme wegen Selbstverletzung, USA.
Besuche in der Notaufnahme wegen Selbstverletzung, USA: Es handelt sich hier um einen Anstieg in objektiv-messbaren Statistiken.
AnxiousGeneration.com

Kindheit auf dem Mars

Jonathan Haidt bringt den ansteigenden Gebrauch von Smartphones und sozialen Medien mit der psychischen Befindlichkeit von Gen Z, den nach 1995 Geborenen, zusammen. In seiner Einleitung "Growing up on Mars" vergleicht Haidt dabei den unlimitierten Smartphone-Gebrauch von Kindern mit einer Marsexpedition für Minderjährige. Einer solchen würden die wenigsten Eltern zustimmen, meint er. Schon gar nicht ohne ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse gesehen zu haben oder explizit um ihre Zustimmung gefragt worden zu sein. "Kein Unternehmen könnte ohne unsere Zustimmung unsere Kinder wegnehmen und sie in Gefahr bringen. Sie müssten dafür geradestehen. Richtig?", fragt er. Dennoch werde die Gen Z schutzlos in das digitale Universum entsendet. In der realen Welt seien sie hingegen überbehütet. Haidts zentrale Behauptung ist, dass diese beiden Trends, Überbehütung in der realen Welt und Unterbehütung in der virtuellen Welt, dafür verantwortlich sind, dass Gen Z zur ängstlichen und nervösen Generation wurde.

Mitglieder von Gen Z begannen ihre Pubertät ab 2009, als mehrere Technologietrends zusammenkamen: die rasante Verbreitung von Hochgeschwindigkeitsbreitbandinternet in den 2000er-Jahren, die Einführung des iPhones im Jahr 2007 und das neue Zeitalter der sozialen Medien. Die letzte Phase wurde 2009 mit der Einführung von "Like" und "Retweet" oder "Share" gestartet. Ein weitere technische Entwicklung traf Mädchen viel härter als Buben: die zunehmende Verbreitung von Bildern von sich selbst. Generation Z war die erste Generation in der Geschichte, die mit einem Portal in der Tasche, das sie weg von den Menschen in der Nähe und in ein alternatives, aufregendes und süchtig machendes Universum rief, durch die Pubertät ging.

Auch internationale Datensets zeigen ähnliche Trends und Korrelationen wie unter US-amerikanischen Jugendlichen. Sowohl in kulturell ähnlichen Ländern wie Kanada und Großbritannien als auch in Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen wie den skandinavischen Ländern sehen die Kurven ähnlich aus. Auch Daten aus 37 Ländern aus der ganzen Welt, die alle drei Jahre an einer Umfrage unter ihren 15-Jährigen teilnehmen, zeigen dieselben Trends. Zusätzliche Datensets sind auf www.anxiousgeneration.com abrufbar.

Selbstverletzungsrate UK
Selbstverletzungsrate in UK bei 13- bis 16-Jährigen.
AnxiousGeneration.com
Hohes psychologisches Leiden oder Bedrängnis in 33 europäischen Ländern.
AnxiousGeneration.com

Smartphones erst ab vierzehn Jahren

Haidt schlägt vier konkrete Maßnahmen vor, wie diese Entwicklungen umzukehren sind. Er nennt dies "bring childhood back to earth", bringen wir die Kindheit wieder zurück auf die Erde. Erst Jugendliche in der High-School, beziehungsweise der Oberstufe sollten ein Smartphone und damit einen Internetzugang rund um die Uhr besitzen. Bis zum 14. Lebensjahr reichen die einfacheren Telefone. Die Benutzung sozialer Medien sollte erst ab 16 Jahren gestattet sein. Zu dem Zeitpunkt ist die verletzlichste Phase der Gehirnentwicklung abgeschlossen. Die Jugendliche können ab diesem Entwicklungsstadium besser mit sozialem Druck und algorithmisch ausgewählten Influencern umgehen. Schulen sollten prinzipiell frei von Telefonen, Smart-Laptops und anderen persönlichen elektronischen Geräten sein. So könnten sich die Schüler aufeinander und auf ihre Lehrer konzentrieren. Haidts letzter Vorschlag betrifft die Wichtigkeit von unbeaufsichtigtem Spielen und Förderung der kindlichen Unabhängigkeit. Nur auf diese Weise entwickeln Kinder auf natürliche Weise soziale Fähigkeiten, überwinden Ängste und werden zu selbstständigen jungen Erwachsenen.

Der Psychologe kommt zu dem Schluss, dass diese vier Reformen nicht schwer umzusetzen sind, solange viele Mitglieder einer Gemeinschaft sie gleichzeitig durchführen. Sie kosten fast nichts. Sie werden auch ohne entsprechende gesetzliche Regelungen funktionieren. Er ist überzeugt: Wenn die meisten Eltern und Schulen in einer Gemeinschaft alle vier hier vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen würden, würde sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen innerhalb von nur zwei Jahren erheblich verbessern. Machen Sie mit? (Stella Schuhmacher, 23.4.2024)